Politische Memoriale in Kooperation mit der Europäischen Akademie M-V
Bericht über eine Studienfahrt vom 2.-6. September 2013 nach Oswiecim/Auschwitz in der Form eines Tagebuchs der Schülerinnen und Schüler des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums Wismar
Montag
Am Montag um sechs Uhr in der Frühe ging es los, die Fahrt nach Auschwitz. Wir fuhren 12 Stunden. Im Ort angekommen lag links das Stammlager von Auschwitz. Allein dieser kurze Anblick machte uns ein wenig Angst für die darauffolgenden Tage, in wie fern wir es wohl verarbeiten werden. Die Fragen, die wir uns abends im Bett stellten, drehten sich allein um den nächsten Tag. Was wird uns erwarten?
Dienstag
Heute sind wir nun den 2. Tag in Oswiecim. Unseren Rundgang in der Stadt begannen wir in der einzigen noch bestehenden Synagoge. Dort erfuhren wir viel über das Leben der Juden vor dem 2. Weltkrieg. Auf dem jüdischen Friedhof werden keine Menschen mehr begraben, da heute keine Juden mehr in Auschwitz wohnen. Er wird nur als Gedenkstätte genutzt. Einige Grabsteine, die dort zu sehen sind, waren die, welche nach dem Krieg im Flussbett gefunden wurden.
Für mich ist die Stadt Oswiecim, auch wenn sie durch den Holocaust traurige Berühmtheit erlangte, eine sehr schöne Stadt und man sollte sie nicht immer mit dem grausamen Vorgehen der Nazis in Verbindung setzen, denn das was dort mit rund 1.1 Mio. Juden und anderen Menschen passierte war Auschwitz und nicht das polnische Oswiecim.
Nachmittags im Stammlager Auschwitz
An diesem Tag hat mich besonders der Block 6 geprägt. Erst habe ich einige Giftgasflaschen gesehen, die in den Gaskammern verwendet worden sind. Danach kamen wir zu den Besitztümern und einigen Wertgegenständen, die den Menschen in Auschwitz weggenommen worden sind. Zum Beispiel Schuhe, Koffer, Töpfe, Zahnbürsten und Rasierpinsel lagen vor mir, hinter einer Glasscheibe, in so einer großen Anzahl, die eigentlich unvorstellbar scheint. Auf den Koffern standen noch die Namen der Häftlinge. Den Menschen die vergast worden sind, wurden danach die Haare abgeschnitten, Prothesen wurden ihnen entfernt und Goldzähne wurden ihnen aus dem Mund genommen. Die Menschenhaare lagen auch in Block 6. Dieser Anblick und die Vorstellung, wie viele Menschen vergast worden sind, war unerträglich. Ich musste mir hier die Tränen verkneifen und bin nach einigen Sekunden wieder raus gegangen, weil diese Vorstellung für mich schrecklich war.
Ein paar Türen weiter kamen wir zu den Kindersachen. Kleine Kinderschuhe bzw. Kleidung von Babys oder Kleinkindern, die hier vergast oder getötet wurden. Diese unschuldigen Kleinen können doch am wenigsten dafür. Hier kamen mir die Tränen und ich bin rausgegangen, weil ich den Anblick von kleinen unschuldigen Kinderaugen nicht ertragen konnte.
Zum Ende der Führung gingen wir in die Gaskammer und ins Krematorium. Ich war schockiert, wie gut erhalten alles dort war. Als ich mir klar machte, dass in dem Raum, in dem ich nun stand, tausende Menschen qualvoll umgebracht wurden, konnte ich kaum dort stehen bleiben. Mir schossen tausend Gedanken gleichzeitig in den Kopf und gleichzeitig hatte ich eine bedrückende Leere in meinem Körper, sodass ich das Gebäude sofort wieder verließ. Ich musste erst mal Luft holen und legte meine Rose vor dem Gebäude nieder.
Als ich heute durch das bekannte Tor „Arbeit Macht Frei“ gegangen bin, fühlte ich mich sehr seltsam. Ich sah die Menschen, die diesen Weg in Trauer und Qual gingen, ihn aber nie mehr zurückgegangen sind. Ich sah sie, wie sie ihn langsam und erschöpft entlang gingen. Man kann sich nicht vorstellen, wie vielen Menschen dort das Leben geraubt wurde. Aber nachdem ich dort die Berge von Haaren und Schuhen gesehen hatten, habe ich nun eine annähernde Vorstellung, wie viele Seelen es waren.
Und während wir aus dem Konzentrationslager hinausgingen, stellte ich mir immer wieder dieselbe Frage, die mir bis heute durch den Kopf schwirrt: Warum?
Mittwoch, Gespräch mit dem Zeitzeugen
Edward Paszkowski erzählte uns ganz ruhig, aber sehr bildhaft seine Lebensgeschichte: Wie er als Roma mit zwölf Jahren als Kindersoldat von der GESTAPO festgenommen wurde. Nach sechsmonatigem Verhör mit ständiger Angst kam er mit seinen vier Freunden wieder zusammen. Sie wussten, dass sie erschossen werden, doch durch sehr viel Glück wurden sie es nicht. Aber darauf wurden sie in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Herr Paszkowski überlebte nicht nur dieses KZ, sondern auch vier weitere. Am 17. April 1945 befreiten die Amerikaner das KZ Bergen-Belsen, in dem er sich befand. Als er in einem Krankenhaus ankam, bekam er nach den Untersuchungen ein eigenes, sauberes Bett und er fühlte sich wie im Paradies. Danach wurde er einen Moment still.
Wir waren sehr berührt, wie man so eine grausame Zeit überstehen kann und haben sehr viel Respekt davor. Durch seine Lebensgeschichte wurde uns bewusst, wie gut unser Leben ist. Wir sind dankbar, dass wir Edward Paszkowski als Zeitzeugen kennenlernen und erleben durften.
Donnerstag
Heute waren wir in Krakau. Die zweitgrößte Stadt Polens besitzt ca. 760.00 Einwohner, wovon sehr viele Studenten sind. Die Stadtführerin erzählte uns, dass heutzutage nur noch 200 Juden in Krakau leben. Doch vor dem Holocaust waren 25% der Bevölkerung Juden. Durch die Frau erfuhren wir, dass sie vor 1876 nur in wenigen Stadtteilen leben durften und erst danach volle Bürgerrechte bekamen. Das hat uns alle besonders geschockt, da wir so noch einmal mehr merkten, wie sehr die Juden diskriminiert worden waren.
Die Wawel- Kathedrale ist die mit Abstand bedeutendste Bischofskirche Polens. Im Innenhof wurden im Mittelalter Ritterkämpfe durchgeführt. Während der Nazi-Besetzung ernannte Adolf Hitler Hans Frank zum Generalgouverneur.
Freitag
Heute mussten wir schon um ca. 5:30 Uhr aufstehen, weil wir eine lange Heimreise vor uns hatten.
Jeder nimmt bestimmt Bilder mit zurück nach Hause. Für uns wird das Stammlager, insbesondere die israelische Ausstellung, die größten Spuren hinterlassen. Als wir nach Owiecim fuhren waren wir sehr gespannt und wussten nicht was uns erwartet, haben aber mit viel gerechnet. Jedoch wurden unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Auf der Rückfahrt denken wir noch mal über alles nach. Wir werden das nie vergessen.
Und durch den Zeitzeugen hat man noch einmal eine andere Sicht auf das Ganze bekommen, denn er war ja wirklich dabei, hat all das Schreckliche gesehen, was den Menschen angetan wurde und hat uns seine Geschichte genauso erzählt, wie sie wohl passiert ist. Ich denke wir können sehr glücklich sein, dass wir noch mit jemandem reden konnten, der dabei war, das Grauen im Konzentrationslager überlebt hat und jetzt immer noch lebt. Denn unter solchen Bedingungen zu leben und zu arbeiten und das dann zu überleben gleicht einem Wunder und es gehört ziemlich viel Glück dazu. Ich glaube jeder sollte sich einmal in seinem Leben Auschwitz und Birkenau ansehen, denn es gehört zu unserer Geschichte dazu und deshalb ist es wichtig mehr darüber zu erfahren beziehungsweise es mit eigenen Augen zu sehen. Für mich ist es unklar, wie Menschen immer noch leugnen können, dass es Auschwitz jemals gegeben hat.
Frank Peter Reichelt
Ein Tagebuch, gekürzt