Wie kann man die Geschichte des Kalten Krieges in einer europäischen Perspektive am jeweiligen historischen Orten vermitteln? Dieser Frage geht eine Lernpartnerschaft innerhalb des EU-Grundtvig-Programms nach. Einrichtungen aus Dänemark, Estland, Norwegen, Polen und Deutschland (ver.di-Forum Nord e. V. und Politische Memoriale e. V.) sind beteiligt. Das erste Treffen fand vom 13. bis 15. Dezember in Tallinn statt. Eingeladen hatten die KollegInnen vom Okkupationsmuseum – ein Museum zur Geschichte der unterschiedlichen Besatzungen Estlands zwischen 1940 und 1991. Es war eine spannende Reise in ein wirtschaftlich prosperierendes und mit den Verwerfungen der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts unverändert beschäftigtes Land. Auf der Tagesordnung des Projekttreffens standen das gegenseitige Kennenlernen, die Klärung der Abläufe und Verantwortlichkeiten im Projektablauf und die Auseinandersetzung mit der Geschichte Estlands während der sowjetischen und deutschen Besatzung. Außerdem nahmen wir das Okkupationsmuseum und seine Angebote unter die Lupe und lernten einige Überreste dieser Vergangenheit in Tallinn und der Umgebung kennen.
Die Direktorin Kadri Viires und der Kurator Dr. Jean-Loup Rousselot waren uns nicht nur fachkundige Begleiter, sondern auch großherzige und offene Gastgeber. Unter diesen Bedingungen entstand schnell eine herzliche und produktive Atmosphären und trotz der sprachlichen Hürden kamen alle Teilnehmenden unkompliziert miteinander ins Gespräch. Auch persönlich lernten wir uns kennen. Wir konkretisierten die Termine der nächsten Treffen und ihre inhaltlichen Planungen, bestimmten einen Rahmen für die geplante gemeinsame Wanderausstellung und legten Regeln für die Kommunikation fest. Problemorientiert führte uns Jean-Loup Rousselot in die Dauerausstellung und die Arbeit des Museums ein. Auf Exkursionen durch Tallin und den Nationalpark Lahemaa lernten wir vielgestaltige baulichen Spuren der Sowjetzeit, aber auch Gedenkstätten für den Unabhängigkeitskampf der Esten und die Opfer der deutschen Besatzung kennen. Dabei spürten wir förmlich die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Geschichtserzählungen, den verschiedenen nationalen Identitäten sowie zwischen den Generationen. Das moderne Okkupationsmuseum wurde 2003 eröffnet und besticht durch eine eindrucksvolle, transparente Architektur, eine chronologisch und sehr konzentriert aufgebaute Ausstellung sowie durch die Verbindung von Kunst und Geschichte. An Medienstationen wird mittels historischer Filmaufnahmen sowie Ausschnitte aus Interviews mit Zeitzeugen und Fachleuten ein Überblick zu den jeweiligen Zeitabschnitten gegeben. Einzelne Großobjekte ziehen die Blicke der BesucherInnen auf sich. Zur vertieften Auseinandersetzung dienen ein Kinoraum und eine Bibliothek. Träger des Museums ist die Kistler-Ritso Stiftung, die mit staatlichen Zuschüssen arbeitet. Ungefähr 40.000 Besucher zählt das Museum jährlich.
Der Besuch im Lahemaa-Nationalpark zeigte uns nicht nur eine herrlich verschneite Landschaft und die Bemühungen zur Bewahrung und Erschließung dieser Naturschönheit, sondern offenbarte auch die Folgen eines strukturellen Wandels. Zum einen war die Küstenregion von Estland als Grenzgebiet besonderen Sicherheitsvorschriften und einer umfassenden Bewachung unterworfen. Hinzu kommen nicht mehr genutzte Militärstandorte und militärische Infrastruktur der sowjetischen Armee, z. B. eine Anlage zur Demagnetisierung von U-Booten. Andererseits sind die wirtschaftlichen Umbrüche nach der Unabhängigkeit Estlands unübersehbar. An die Stelle der großflächigen Kolchose sind private landwirtschaftliche Eigenbetriebe getreten. Der besonderen Geschichte der Fischerei-Kolchose S. M. Kirow sind wir mehrmals begegnet.
Der abschließende Austausch über Stärken und Schwächen der Ausstellung im Okkupationsmuseum erbrachte zahlreiche Anregungen für die zukünftige Arbeit des Museums und für das Nachdenken in der Gruppe zum Umgang mit der Geschichte des Kalten Krieges. Das Treffen war von einer großen Offenheit und Ernsthaftigkeit geprägt. Mit großem Interesse sehen wir den weiteren Begegnungen innerhalb der Lernpartnerschaft entgegen.
Die nächsten Workshops finden am 25./27. April in Borne Sulinowo (Polen), am 13./15. Juni in Bodø (Norwegen), am 5./ 7. September in Lübeck und Schlagsdorf (Deutschland) und im Mai 2014 in Dänemark statt. Die Projektkoordination liegt in den Händen von Simone Labs vom ver.di-Forum.